Großprojekte in Koblenz und Berlin mit über 1.000 Singenden aus 24 Ländern
Foto: Gürzenich-Chor und Uni-Chor Koblenz, Rhein-Mosel-Halle (Linus Heide)
„Mein lieber Maestro Hiller“, schrieb Giuseppe Verdi 1877 an Ferdinand Hiller, den damaligen künstlerischen Leiter des Gürzenich-Chors Köln. Weiter heißt es: „Wenn ich solche Reden halten könnte wie Sie, wäre ich in diesem Augenblick bei der Probe und würde den schönen Damen, die im Chor singen sagen, dass ich voller Bewunderung für die Begabung bin, die sie in die Ausführung meines Requiems stecken“.
Mit den „Damen“ sind die Sängerinnen des Gürzenich-Chors gemeint. Verdi hatte gerade sein Requiem beim Niederrheinischen Musikfest dirigiert, unter anderem zusammen mit dem Gürzenich-Chor, der bereits bei der deutschen Uraufführung in Köln mitgewirkt hatte. Der Brief von Verdi an Hiller ist im Historischen Archiv der Stadt Köln erhalten, ebenso wie Tagebucheinträge von Ferdinand Hiller, in denen er Erinnerungen an das Projekt festhält und „Toast auf Verdi“, „Verdi erhält Taktierstock“ und „Verdi spielt sehr viel Billiard“ festhält.
Gürzenich-Chor führte Requiem auch mitten im Zweiten Weltkrieg auf
1874 hatte Verdi seine „Messa da Requiem“ vollendet. Das Libera Me galt dem Gedenken an den Komponisten Rossini, die Arbeiten am Requiem schloss er zum Tode des Nationaldichters Alessandro Manzoni ab, den Verdi bewunderte und verehrte.
Das sakrale Meisterwerk trägt in allen Aspekten die musikalische Handschrift des Opernkomponisten Verdi. Es spiegelt mit überwältigender Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit die menschliche Grenzerfahrung von Trauer, Todesangst und Hoffnung auf Erlösung wider. Verdi zeichnet die Erfahrungen des Todes in großen musikdramatischen Gesten – vom verzweifelten Schrecken des Jüngsten Gerichtes im „Dies Irae“ über die hoffnungsvolle Bitte des „Requiem Aeternam“ bis zur verklärten Vision des „Lux Aeterna“.
Bis in die Neuzeit begleitet Verdis Totenmesse den Gürzenich-Chor Köln. Seit dem gemeinsamen Konzert mit Verdi persönlich führte der Chor das Requiem zahlreiche Male auf. Auch 1944, mitten im Krieg. Nun, im Jahr 2024, folgten zwei große Aufführungen zur Feier von 150 Jahren Verdi-Requiem.
„Seltene Art von magischer Energie“: Erstes Konzert in Koblenzer Rhein-Mosel-Halle
Gemeinsam mit dem Universitätschor Koblenz und dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie führte der Gürzenich-Chor am 23. Juni das Requiem in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz auf, es dirigierte der künstlerischen Leiter der beiden Chöre, Christian Jeub. Solistinnen und Solisten waren Anna Gabler (Sopran), Khatuna Mikaberitze (Mezzosopran), Nikolai Karnolski (Bass) sowie Ricardo Tamura (Tenor). Tamura schilderte später in den sozialen Medien, das Konzert habe „diese seltene Art von ‚magischer Energie‘, wo sich alles richtig anfühlt“.
Foto: Choralspace , Philharmonie Berlin (Peter Adamik)
Die beiden Chöre und die Rheinische Philharmonie brachen dann auf Einladung von CHORALSPACE am folgenden Wochenende von Köln und Koblenz nach Berlin auf, um am 30. Juni bei einem Mitsingkonzert mit etwa 1.000 Sängerinnen und Sängern als Bühnenchöre und Orchester erneut zu singen und zu musizieren – ein großartiges Finale des Choralspace Sommerfestivals!
In der ausverkauften Philharmonie dirigierte diesmal Sergi Gili Solé, mit auf der Bühne waren außerdem Solés Konzertchor Friedenau sowie ein auf mehrere Besucherblocks verteilter Projektchor mit 16 Chören aus vielen verschiedenen Ländern, unter anderem aus Bulgarien, Estland, Italien, den USA und Taiwan und vielen individuellen Sängerinnen und Sängern – zusammengebracht von „Choralspace“.
Über 1.000 Stimmen hauchten das „Requiem aeternam“ im dreifachen pianissimo und erhoben sich zum „Dies Irae“ im fortissimo. Solistinnen und Solisten in Berlin waren Iwona Sobotka (Sopran), Alexandra Urquiola (Mezzo-Sopran), Andrés Moreno García (Tenor) und Gerard Farreras (Bass).
„Bricht wie ein Sturm über die Zuhörenden hinein“ – Rezension im RBB
Beide Konzerte, in Koblenz und Berlin, wurden mit minutenlangen stehenden Ovationen belohnt. Den Klang des riesigen Chores in der Berliner Philharmonie begeisterte auch die Kritikerin Daniela Wiegand im RBB Inforadio: „Verdis Requiem. Eine Totenmesse. Sie beginnt leise, aus weiter Ferne. Das Requiem Aeternam – ewige Ruhe. Und bricht dann wie ein Sturm über die Zuhörenden hinein. Angst, Schmerz, Wut und das Ringen mit dem Ende sind da zu hören, Flehen, Hoffen. Und wie. Aus mehr als 1000 Kehlen.“ Sie schloss mit den Worten: „Die Masse macht es hier. Choralspace ist ein Erlebnis. Weil man hört, wie viel es allen hier gibt, zusammen zu singen.“
Kommende Projekte und 200-jähriges Chor-Jubiläum
Nach diesen beiden Konzerten gehen für den Gürzenich-Chor und den künstlerischen Leiter Christian Jeub die Vorbereitungen für kommende Konzerte weiter. Für den 6. Oktober ist eine Aufführung von „The Armed Man. A Mass for Peace“ von Karl Jenkins in der Kölner Trinitatiskirche geplant. Im März 2025 steht dann Antonín Dvořáks Stabat Mater in der Philharmonie an. Und mit freudiger Erwartung blickt der Chor auch auf ein Konzert im November 2025. Dafür wurde der Komponist und ehemalige Gürzenich-Chor-Stipendiat Marc L. Vogler mit einer eigenen Komposition für Chor und Violoncello beauftragt – dem Gürzenich-Chor und dem Cellisten Benedikt Klöckner auf den Leib geschneidert.
Im Jahr 2027 besteht der Gürzenich-Chor seit 200 Jahren und darf sich damit „ältester Chor der Stadt Köln“ nennen. Dieser Geburtstag wird groß gefeiert, mit ganz besonderen Konzertprojekten. Ob die Korrespondenzen für diese Aufführungen wohl auch eines Tages im Stadtarchiv landen werden?
Luisa Meyer
(Der VDKC berichtete am 16.10.2024 über die Konzerte in Koblenz und Berlin)